Die Brennerbande, Teil 99


Der nächste Morgen begann mit einem Besuch, den Tiscio bisher wohlweißlich vermieden hatte, und dabei musste er hierfür nur von einem Raum zum nächsten gehen. Malandro, Gunnar, Walter und Walmo bildeten eine Eskorte, die weniger seinem Schutz dienen würde, als seine Erniedrigung noch zu vermehren.

Wie nicht anders zu erwarten gewesen war, saß Walde auf ihrer Matte, immer noch blass vom Gift, aber lächelnd. Tiscio runzelte verzweifelt die Stirn, schon weil er genau wusste, dass die anderen hinter ihm grinsten.

"Hallo Walde."

"Hallo Tiscio."

"Vilet hat mich zum Helfer gemacht."

"Weiß ich doch."

"Dacht ich mir."

"Jetzt musste aber auch helfen."

"Was imma das heißt."

"Na, du musst halt helfen."

"Das haste doch schon gesagt. Wem denn?"

"Allen halt."

"Allen? Wie soll ich‘n das machen?"

"So wie Vilet."

"Soll ich mich da einfach hinsetzen? An ihr‘n Platz?"

"Ja, aber kein Unsinn erzähl‘n."

"Und was soll das helfen?"

"Musst halt nur zuhören."

Tiscio ließ das ein wenig einsinken und dachte darüber nach, wie lächerlich er sich vorkommen würde, wenn er die Kiste rausholte und sich ein Nest bereitete, wie es Vilet immer tat. Noch schlimmer war jedoch der Gedanke, dass er sich stundenlang die Geschichten von irgendwelchen alten Frauen anhören musste. Dann fiel ihm zum Glück ein guter Grund ein, warum er sich nicht dahin setzen sollte.

"Aber das is' doch viel zu gefährlich. Wenn so viele von Vilets Freunden zusammen sind, mein ich."

"Glaub, da passiert morgen nichts. Bin aber nich' sicher."

"Du bist nich' sicher?"

"Bald passiert was. Deswegen is alles wischi-waschi. Aber morgen musst du da sein."

"Morgen muss ich hier sein?"

"Ja."

Die beiden sahen einander an, bis Tiscio sich abwandte.

"Grabenschleim! Dann geh ich halt." Damit drängte er sich durch seine gniggernden Freunde. Walter und Walmo sahen ihm nach, während er seine Sachen aus dem anderen Zimmer holte und sich auf den Weg machte. Sie folgten ihm sogar noch ein Stück die Treppe hinunter:

"Bist jetzt n Priester?",

"Kochst du auch Panas?",

"Oh, segne mich, Vater!"

Malandro hörte ihnen nicht, zu sondern betrat das Zimmer, um ein paar Worte mit Walde zu wechseln.

"Walde, diese Helfersache von Tiscio, wäre das auch was für mich?"

"Ich glaub nich'."

Malandro wusste nicht, was er erwartet, was er erhofft hatte. Aber Waldes klare, einfache Worte enttäuschten ihn. Er ließ den Kopf hängen und wandte sich zur Tür. Gerade, als er die Tür hinter sich schließen wollte, setzte sie jedoch noch hinzu:

"Könnte aber was sein, wenn du es wirklich willst."


Nachdem Tiscio und Herr Unterschnitt bereits außer Haus waren, entschieden auch Gunnar und Malandro, den Tag für etwas anderes zu nutzen, als beständig Bombern, Mörder und Giftmischern hinterherzulaufen. Walde hatte mehr oder weniger bestätigt, dass es an diesem Tag keine Anschläge geben würde, sie hatten keinen Auftrag zu erfüllen, nachdem mit der Aufforderung, sich umzuhören auch die Liste der Waffenbesitzer an Linnbeth gegangen war und es war niemand da, der ihnen einen hätte erteilen können. Also verabschiedeten sich die beiden von den anderen Hausgästen, die sich entweder immer noch von dem Anschlag erholten oder sich, im Falle der Ws, um ihre Schwester kümmerten.


Wie so oft, wenn nichts Dramatisches passiert, kann man kaum etwas darüber berichten, und so braucht über Gunnar nur gesagt zu werden, dass er an diesem Tag große Fortschritte an seiner zweirädrigen Dampfmaschine machte.

Malandro hingegen suchte zuerst seine Mutter auf, die nach ihrer abendlichen Arbeit in einer heruntergekommenen Kaschemme wenig Lust verspürte, ihren Sohn zu bekochen und zu umhätscheln. Allerdings war sein Besuch bei ihr auch eher eine unangenehme Pflichtübung gewesen, weil er irgendein Rest an Familiensinn ihm weißmachte, dass seine Mutter über die letzten Tage seine Abwesenheit informiert werden sollte. Daher traf ihn ihre Ablehnung nicht besonders.

Schlimmer war schon sein zweites Ziel, welches er, selbst wenn er die Zeit dazu gehabt hätte, die letzten Tage ungerne hatte aufsuchen wollen.

Er betrat die Werkstatt seines Meisters, der von seinem Werkstück aufblickte und ein hässliches Lachen ausstieß.

"Dass du dich hier noch einmal blicken lässt. Unfassbar. Willst‘e deinen Lohn abholen? Kannst‘e vergessen."

"Meister, ich kann das erklären ..."

"Erklären? Dass will ich hören."

"Es is' wegen der Anschläge. Wir sind mit Herrn Unterschnitt unterwegs ..."

"Herr Unterschnitt? Der Detektiv? Tisch mir keine Lügen auf."

"Nein, ehrlich Meister. Wir schlafen sogar bei ihm. Da konnte ich doch nich' komm‘n."

"Ach, hau einfach ab. Ich such mir ‘nen zuverlässigeren Lehrling."

"Meister, bitte, wenn das vorbei is, dann komme ich wieder, bestimmt. Und dann arbeite ich für'n Monat für nix."

Der Meister hielt einen Augenblick inne und blickte den jungen Mann mit zusammengekniffenen Augen an. "Für nix, sagst du? Und wann kommst‘e wieder?"

"Eine Woche. Bestimmt."

"Gut, lass ich mich drauf ein, eine Woche, kein Lohn." Er spuckte in die Hand und sie besiegelten die Abmachung mit einem Handschlag. "Wenn nich', dann brauchst‘e auch nicht wiederkommen, haste verstanden?"


Auch wenn Malandro wohl den besten Grund für seine schlechte Laune hatte, war es Tiscio, der am Abend am meisten erzählte, sobald sie sich wieder bei Unterschnitt trafen. Kaum zwei Sätze des jungen Helfers schienen zusammenzugehören, da er von einem Gläubigen zum nächsten sprang und kaum eines der vielen Probleme, die ihm vorgetragen worden waren, zu Ende brachte, bevor er das nächste erwähnte. Die vier Feldstraßler, die sein Publikum bildeten, erwarteten bei jeder Pause, dass er aufstand und seinen Kopf kräftig gegen die Wand schlug. Es war schwer auszuhalten und sie waren alle dankbar, als er sich endlich schlafen legte. Nur so viel hatten sie verstanden, dass die Besucher des kleinen Schreins anscheinend erstaunt und anfänglich auch etwas abweisend gewesen waren, schließlich aber seine Dienste angenommen hatten und auch dankbar darum waren, während Tiscio den Eindruck machte, als hätte er sich lieber im Ingen Prügel eingefangen.

Sie ließen ihn schlafen und zogen sich in die Küche zurück, wo sie sich über sein Gejammere lustig machten, bis wenig später Herr Unterschnitt zurückkehrte.

Sie rannten die kleine Treppe hinauf und beobachteten, wie ihr Gastgeber sich gerade den Mantel auszog. Sobald er sie sah, zog er die Augenbrauen hoch und hätte sich wohl am liebsten in sein Zimmer zurückgezogen, scheuchte sie jedoch zurück in die Küche, wo er sich von Soldrang ein kleines Abendessen bereiten ließ. Dabei hob er allerdings jedes Mal einen Finger in die Luft, sobald einer der Feldstraßler etwas fragen wollte.

Erst als er einen ersten Schluck Panas genossen hatte, blickte er sich einmal am Tisch um und begann zu erzählen:

"Da ihr mich vermutlich nicht in Ruhe lassen werdet, bis ihr etwas erfahren habt, bringe ich euch wohl erst einmal auf den neusten Stand." Ein erneuter Schluck. Er lehnte sich zurück, während er weiterhin in einer Hand die Tasse hielt. "Die Metrowacht hat es 'geschafft', Phiben gefangen zu nehmen." So wie er jedoch "geschafft" sagte, konnte man meinen, dass er nicht viel von den Fähigkeiten der Bertis hielt. "Die beiden anderen haben sie nicht finden können und es steht zu bezweifeln, ob sie es jetzt noch schaffen werden." Mit einem Klappern stellte er die Tasse auf den Untersetzer und blickte zu seinem Diener hinüber. "Und wie mir Soldrang eben berichtet hat, gibt es auch noch keine weiteren Nachrichten von Linnbeth."

Die Jungs starrten ihn weiter an, gerade so, als warteten sie darauf, dass er noch mehr erzählen würde.

"Das war‘s. Mehr ist heute nicht geschehen. Seien wir froh. Schließlich haben wir auch von keinem Anschlag gehört." Aber die Feldstraßler konnten sehen, dass er keineswegs froh war.

Die Kinder aus der Feldstrasse, 04